Erkunde die Geschichte von Migration, Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit in Deutschland und den USA über die Jahrhunderte.
1885
Germanisierungspolitik und Antislawismus
Vor allem die polnische Bevölkerung mit preußischer Staatsbürger*innenschaft wird als “Gefahr” für den sich im Entstehungsprozess befindlichen deutschen Nationalstaat gesehen (siehe Gründung des Kaiserreichs, 1871). Mit 2,4 Millionen Menschen entspricht sie 6 % Prozent der Gesamtbevölkerung. Um einem wachsenden polnischen Nationalbewußtsein entgegenzuwirken, sollen sie durch zahlreiche gesetzliche und behördliche Maßnahmen assimiliert und “germanisiert” werden. Die vor allem von Otto von Bismarck vorangetriebenen Maßnahmen umfassen den Kampf gegen den polnischen Adel und Klerus, Ausschluss des Polnischen als Behörden-, Gerichts- und Schulsprache, sowie Einschränkungen gegen die Versammlungsfreiheit und die Beschäftigung im Staatsdienst. Polnischsprachige Staatsangehörige werden so zu Bürger*innen zweiter Klasse gemacht. Als Reaktion darauf gründen sie, insbesondere im Ruhrgebiet, eine Vielzahl von Vereinen, die die Förderung der polnischen Sprache und Kultur zum Ziel hat.
Seit Mitte der 1880er Jahre und zeitgleich mit Beginn der gewaltsamen Inbesitznahme deutscher Kolonien in Afrika (siehe Berliner Konferenz, 1884) verändert sich die Politik des Kaiserreichs vor allem gegenüber den polnischen Saisonarbeiter*innen mit russischer Staatsangehörigkeit, die auf ostelbischen Gutshöfen arbeiten (siehe Arbeitsmigration im Kaiserreich, 1880). 1885 ordnet Bismarck die Ausweisung von ca. 40.000 Pol*innen, von denen ca. ein Drittel Jüd*innen (siehe Antisemitismus im Kaiserreich, 1871) sind, aus den preußischen Ostprovinzen an. Der preußische Innenminister Robert Viktor von Puttkamer setzt sie um. Die weitere Zuwanderung wird verboten. Zuvor hatten nationalistische Kreise, vor allem Mitglieder des Ostmarkenvereins, sowie Teile der deutschen Presse vor einer „Polonisierung des Ostens“ und einer steigenden “Überfremdungsgefahr” gewarnt und ein Verbot gefordert. Eine Aufhebung des Zuwanderungsverbots und der gleichzeitige Beginn einer staatlichen Steuerung der Arbeitsmigration erfolgt erst 1890.
1886 erlässt Bismarck ein finanziell gut ausgestattetes Ansiedlungsgesetz, um polnischen Landbesitz im preußischen Osten zur Ansiedlung deutscher Bauern aufzukaufen. Rund 120 000 Reichsangehörige lassen sich im Zuge dieser Politik in den preußischen Ostgebieten nieder. Das Ansiedlungsgesetz verfolgt ebenso wie die von Gewalt und Ausbeutung geprägte Ansiedlung in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, das Ziel die massenhafte Migration von Deutschen in die USA umzuleiten (siehe Migration in die USA, 1880).
Insgesamt ist die Germanisierungspolitik ein Misserfolg und trägt eher zur Stärkung der polnischen Nationalbewegung bei. Nichtsdestrotz setzt sich die in den öffentlichen Debatten geführte rassistische Argumentationsweise fest und trägt zu einem steigenden Antislawismus bei, der während des ersten Weltkriegs verschärft (siehe Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg, 1914) und von den Nationalsozialisten zu einem zentralen Bestandteil ihrer Ideologie und Politik ausgebaut wird.
Seit Mitte der 1880er Jahre und mit Beginn der gewaltsamen Inbesitznahme deutscher Kolonien in Afrika verändert sich die Politik des Kaiserreichs vor allem gegenüber den polnischen Saisonarbeiter*innen mit russischer Staatsangehörigkeit.
Germany
Sources
Ulrich Herbert. Geschichte Der Ausländerpolitik in Deutschland: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge. München: CH Beck, 2001. Pages 27-31.
Sebastian Conrad. Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich. München: CH Beck, 2006. Pages 124-167.
Fatima El-Tayeb. Blut, Nation und multikulturelle Gesellschaft. In: Bechhaus-Gerst, Marianne und Reinhard Klein-Arendt (Hrsg.) AfrikanerInnen in Deutschland und schwarze Deutsche – Geschichte und Gegenwart. Beiträge zur gleichnamigen Konferenz vom 13. –15. Juni 2003 im NS Dokumentationszentrum (El-DE-Haus) Köln. Münster: LIT, 2004.
Helmut Neubach. Die Ausweisungen von Polen und Juden aus Preussen 1885/86. Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1967.
Werner Conze. Nationsbildung durch Trennung. In: Pflanze, Otto (Hrsg.): Innenpolitische Probleme des Kaiserreichs. München/Wien. 1983. Pages 95-120.
Klaus J. Bade. Kulturkampf auf dem Arbeitsmarkt: Bismarcks Polenpolitik 1885-1890. In: Pflanze, Otto (Hrsg.): Innenpolitische Probleme des Kaiserreichs. München/Wien. 1983. Pages 121-142.