Erkunde die Geschichte von Migration, Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit in Deutschland und den USA über die Jahrhunderte.
1950
Besatzungskinder
Nach Ende der Besatzung kehrt eine Vielzahl der Soldaten allein in ihre Heimatländer zurück. Dies erweckt in der Öffentlichkeit den Anschein, als ob sie sich nicht für ihre Kinder und die Frauen*, mit denen sie sie gezeugt haben, interessieren. Allerdings hatten die wenigsten überhaupt die Möglichkeit, ihre Familie mit in die USA zu nehmen. Denn viele von ihnen müssen in einem Antrag bei der US-Armee eine Erlaubnis für die Eheschließung mit einer deutschen Frau* ersuchen. Diese Anträge werden jedoch von der Armee fast ausnahmslos abgelehnt, da sie aufgrund der herrschenden „Rassen“-Trennung in den USA ebenfalls keine Ehen zwischen Schwarzen und deutschen Weißen dulden. So waren die Väter gezwungen alleine in die USA zurückzukehren.
Das Schicksal dieser Kinder wird auf beiden Seiten des Atlantiks Gegenstand einer Debatte, die die „brown babies“ (wie sie in den USA genannt werden) als in Deutschland grundlegend „fremd“ und nicht zugehörig darstellt. Wie bereits ihre Väter erfahren sie in ihrem Alltag rassistische Diskriminierungen und werden häufig mit abwertenden Begriffen aus der Tierwelt bezeichnet (siehe Besatzung des Rheinlands, 1919). Dies macht deutlich, wie sehr sich die BRD in der Nachkriegszeit noch immer als weiße „Volksgemeinschaft“ definiert, die Zugehörigkeit an biologistisch-rassistischen Kriterien misst.
Vor dem Hintergrund massiver Diskriminierungen dieser Kinder (und durch sie auch der Mütter) organisiert die afro-amerikanische Journalistin Mabel A. Grammer ein Adoptionsprogramm, das als „brownbaby plan“ bekannt wird. Die Kinder werden von afro-amerikanischen Familien in den USA adoptiert. Diese hatten bis dahin keine Adoptionsrechte. Doch auch in den USA steht rassistische Diskriminierung (racial segregation) an der Tagesordnung. Viele adoptierte Kinder berichten von einem Gefühl der Unzugehörigkeit und dem Willen, die eigene Geschichte zu verstehen.
Mütter, die ihre Kinder behalten und von nun an alleinerziehend sind, ziehen oftmals in ihre eigenen Elternhäuser zurück. So können sie einer Arbeit nachgehen, während sich die Großeltern um das Kind kümmern. Laut Angelica Fenner fanden in den wenigsten Fällen Diskriminierungen aufgrund der Hautfarbe des Enkelkindes statt, da es oftmals die eigenen Familien waren, die ihre Töchter zu einer Beziehung mit einem Alliierten-Soldaten ermunterten, um Zugang zu ihnen in Kriegszeiten verwehrten Lebensmitteln und Gütern zu haben.
Mittlerweile sind zu dieser Thematik eine Vielzahl von Veröffentlichungen erschienen. Zumeist handelt es sich um Autobiographien von ehemaligen Besatzungskindern in der BRD. Zu diesen gehören unter anderem Thomas Uslebers „Die Farben unter meiner Haut“ und Ika Hügel Marshalls „Daheim unterwegs“.
Wenn Schwester Hildegard mit dem Knüppel in der Hand auf mich losgeht und zu mir sagt: "In Wirklichkeit schlage ich nicht dich, sondern die Teufel, die in dir stecken", dann will sie sich nicht mit meinem Schmerz auseinandersetzen, mir erst gar keine Hoffnungen machen, daß ich auch stark und mutig sein könnte. Da alles Lernen in der Kindheit seinen Anfang nimmt, erhalte ich hier Wertvorstellungen über mich, die mein Denken und Handeln bestimmen. Ich lerne, daß eine Lüge dann zur Wahrheit wird, wenn jemand an sie glauben will. Weiße lehren mich, ihnen zu mißtrauen.
- Ika Hügel-Marshall
Hügel-Marshall, Ika: Daheim unterwegs: ein deutsches Leben. Orlanda Frauenverlag, 1998
Germany
Sources
Yara-Colette Lemke Muniz de Faria. Zwischen Fürsorge und Ausgrenzung. Afrodeutsche ‚Besatzungskinder’ im Nachkriegsdeutschland. Berlin: Black German Cultural Society, 2002.