Erkunde die Geschichte von Migration, Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit in Deutschland und den USA über die Jahrhunderte.
1955
-
1968
Anwerbeabkommen der BRD
Am 20. Dezember 1955 wird in Rom ein Abkommen über die Vermittlung von Arbeitskräften aus Italien in die BRD unterzeichnet. Die BRD beabsichtigt damit den Arbeitskräftemangel für körperlich schwere Tätigkeiten im Straßen- und Brückenbau auszugleichen, während Italien dadurch die hohe Arbeitslosigkeit im Süden senken kann. Das Abkommen räumt der deutschen Arbeitsverwaltung das Recht ein, in Kooperation mit italienischen Behörden Arbeiter*innen für deutsche Betriebe und Unternehmen anzuwerben, sofern deutsche Tarifbedingungen eingehalten und angemessene Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden. Auf deutscher Seite übernimmt die BAVAV (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung) die Durchführung der Anwerbevereinbarungen.
Weitere Abkommen werden später mit Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), mit Marokko und Südkorea (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und mit Jugoslawien (1968) abgeschlossen, so dass ein stetiger Arbeitnehmer*innenzulauf aus dem Ausland in die BRD gesichert ist. Die Arbeitsmigrant*innen werden als „Gastarbeiter*innen“ bezeichnet, wodurch deutlich wird, dass ihr Aufenthalt als zeitlich begrenzt gesehen wird.
Bis zum Anwerbestopp 1973 (siehe Anwerbestopp in der BRD, 1973) werden Arbeitskräfte angeworben, um den Bedarf in der industriellen Massenfertigung, der Schwerindustrie und dem Bergbau mit gering qualifizierten Arbeitskräften während der Hochkonjunkturphase zu decken. Da die Arbeitsverträge zunächst befristet sind, kommen viele Arbeitskräfte ohne Familienangehörige. Erst mit der zunehmend längeren Aufenthaltsdauer werden auch ihre Familien nachgeholt (siehe Familiennachzug und Sprachpolitik, 1976).
1973 leben 706.000 Migrantinnen in der BRD. Der Anteil weiblicher Arbeitskräfte aus den Anwerbeländern macht bis in die 1970er Jahre hinein über 30% aus. Für Frauen* gelten Sondervorschriften wie etwa bessere Reise- und Unterkunftsbedingungen. Bis weit in die 1970er Jahre verdienen Frauen* in der Industrie durch die so genannten Leichtlohngruppen bis zu einem Drittel weniger als Männer*. Es liegt auf der Hand, dass die Anwerbung von Migrantinnen eng mit der Aufrechterhaltung bzw. der Expansion von Leichtlohnarbeitsplätzen verknüpft ist (siehe Streiks in der BRD, 1973).
Unterkunft von Gastarbeiter*innen des VW Autowerks in Wolfsburg, 1973. Fotografiert von Lothar Schaack.
Germany
Sources
Monika Mattes. „Gastarbeiterinnen“ in der Bundesrepublik: Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den 50er bis 70er Jahren. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2005.
Jochen Oltmer, Axel Kreienbrink. Das „Gast-arbeiter“-System: Arbeitsmigration und ihre Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa.. München.: Oldenbourg, 2012.
Roland Roth, Dieter Rucht. Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: ein Handbuch. New York, Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2008.